Gastbeitrag: Easter Escape – Tauchen im Gulag von Rummu, Estland 2025
Gulag Tauchen – der etwas andere Tauchspot in Europa – dieses Jahr über Ostern sollte es wieder mal anderes nicht alltägliches werden, so zumindest unsere Vorgabe für den nächsten Tauchtrip. Und ja, die Liste der noch zu bereisenden Tauchziele ist lang, was die Entscheidung natürlich nicht einfacher machte. So machten wir uns an die Recherche, wälzten Google-Vorschläge und Taucher-Seiten.
Wer Estland besucht, denkt an mittelalterliche Altstädte, dichte Wälder und eine stille, naturverbundene Atmosphäre. Doch nur rund 45 Kilometer südwestlich von Tallinn liegt ein Ort, der all das durchbricht – surreal, geheimnisvoll und atemberaubend schön: Rummu. Was einst ein sowjetisches Arbeitslager war, ist heute einer der faszinierendsten Tauchspots Europas. Nachdem Flugverbindungen und Preise geprüft wurden, stand die Entscheidung fest. Von Karfreitag bis Ostermontag geht es also nach Tallinn, Estland.
Karfreitag 07:00 Uhr, Flughafen München. Hier stehen wir also an einem Feiertag im April und hätten eigentlich erholt ausschlafen können, aber nein, wir wollten den Feiertagen entfliehen und Tauchen gehen. Neben Kaltwasserkonfiguration, Sidemount- und Kameraequipment musste im Gepäck auch noch ein wenig Platz für einen Städtetrip in Tallinn geschaffen werden. So hatte es zur Folge, das wir zu zweit für 4 Tage mit fast 150 kg unterwegs waren. – Man muss auch mal verrückte Dinge im Leben machen. Nach einem entspannten Flug wird der Mietwagen für die kommenden Tage abgeholt und es geht in Richtung Hotel und zu der Tauchbasis vor Ort, in der wir unsere Sidemountflaschen für die kommenden Tage bekommen. Für den Rest des nachmittags/abends steht nur noch die Stadtbesichtigung und ein Abendessen bei herrlichem Sonnenschein auf dem Plan, bevor wir zurück im Hotel das Tauch- und Fotoequipment für die kommenden zwei Tage zusammenbauen.
Am Karsamstag klingelt der Wecker früh, wollen wir doch frühzeitig in Rummu dem ehemaligen Gefängnis und Tagebau ankommen, um den Tauchtag maximal ausnutzen zu können. Doch bevor man ins türkisblaue Wasser eintaucht, sollte man die Geschichte kennen, die diesen Ort so einzigartig macht: Der Ursprung der Anlage geht zurück bis in die 1940er-Jahre, als die sowjetische Besatzungsmacht das Murru-Gefängnis errichtete. Über Jahrzehnte hinweg mussten Strafgefangene dort unter harten Bedingungen im angrenzenden Tagebau schuften. Der Kalksteinbruch von Rummu versorgte Baustellen in der ganzen Region – auf Kosten der Gefangenen, die im täglichen Akkord unter menschenunwürdigen Umständen arbeiteten. Der Tagebau und das Lager waren untrennbar miteinander verbunden: Leben und Arbeit, Freiheit und Fessel – all das verschmolz in Rummu zu einer trostlosen Einheit. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Wiedererlangung der estnischen Unabhängigkeit Anfang der 1990er-Jahre wurde das Gefängnis geschlossen. Der Tagebau wurde eingestellt, die Pumpen, die das Grundwasser fernhielten, abgeschaltet. Innerhalb weniger Jahre füllte sich der riesige Steinbruch mit kristallklarem Wasser – und die Vergangenheit versank buchstäblich in der Tiefe. Zurück blieben halb versunkene Gebäude, geflutete Maschinen und die Ruinen des Lagers – eingefroren in der Zeit. Was wie ein apokalyptisches Szenario klingt, entwickelte sich mit den Jahren zu einem Hotspot für urbane Entdecker, Künstler – und schließlich Taucher. Rummu wurde zu einem Symbol der Transformation: von einem Ort des Zwangs zu einem Ort der Freiheit und des Abenteuers. Heute ist das Gebiet rund um den See offiziell zugänglich, gesichert und touristisch erschlossen. Unter Wasser erwarten Taucher verlassene Gefängnismauern, ein voll erhaltenes Wachturmfragment, eingestürzte Hallen, alte Werkzeuge und Fahrzeuge. All das liegt in Sichtweiten von bis zu 15 Metern – ein Tauchertraum, der in Europa seinesgleichen sucht. Besonders beliebt ist das sogenannte „Underwater Prison“, in dem man zwischen den Mauern des alten Lagers schweben kann. Doch Rummu ist mehr als nur ein Taucherparadies. Im Sommer zieht der Ort ein breites Publikum an: Paddler, Schwimmer, Freitaucher und sogar Festivalbesucher. Der steil aufragende Kalksteinberg, der sogenannte „Ascheberg“, bietet spektakuläre Aussichten auf die türkise Lagune. Regelmäßig finden hier kulturelle Events, Filmvorführungen und Musikfestivals statt. Zahlreiche Anbieter vor Ort organisieren Tauchgänge, auch für Anfänger, sowie geführte Touren durch das ehemalige Gefängnisgelände. Abenteuerlustige können sich im Stand-Up-Paddling versuchen oder mit dem Kajak über das geflutete Industriegebiet gleiten.
Im April sieht man davon allerdings noch nichts. Vielmehr muss man sagen, dass wir den Tauchspot komplett für uns hatten und so das Gebiet in aller Ruhe erkunden konnten. Leider war aber auch die ansässige Tauchbasis nicht vor Ort, weshalb wir einen Einstieg weiter entfernt nutzen mussten. Der Weg zum Einstieg selbst ist ca. 150m lang und geht über unwegsames Gelände. Aber was tut man nicht alles für diesen Tauchspot. Als wir unser Equipment zum Einstieg gebracht hatten zeigte sich sogleich auch noch das Wetter von ihrer besten Seite, was zu unserem Glück bedeutete, dass wir Sichtweiten von bis zu 15m bekamen.
Der Einstieg selbst liegt auf der gegenüberliegenden Seite des Gefangenenlagers, weshalb wir erst ca. 20min tauchen mussten. Bereits hier zeigt sich der See von einer seiner schönsten Seiten. Kurz nach dem Abtauchen beginnt nämlich ein Unterwasserwald, gefolgt von der eigentlichen Gefängnismauer. – Ich frage mich, wie viele Insassen hier den Ausbruch versucht haben. Über die Gefängnismauer getaucht, geht es dann endlich ins Arbeitslager, vorbei an Bunkern und versunkenen Gebäuden zum eigentlichen Gefängnisblock. Aufgrund der Einsturzgefahr wurden die Einstiege ins Gebäude versperrt, aber auch so kann man auf der Fläche viel entdecken. Bei einer Maximaltiefe von 5m in diesem Bereich (11m im tiefsten Bereich des Sees), kann man einen Sidemounttauchgang auf gut 2h ausdehnen. Zurück geht es dann wieder entlang der Gefängnismauer zum Unterwasserwald, den wir abschließend nochmals intensiv erkundeten und für das ein oder andere Foto nutzen.
Nachdem unser Zeug wieder im Auto verstaut wurde, geht es für uns an die anderen Einstiege, um den perfekten für den kommenden Tag zu finden. Denn Rummu hat nicht nur das Arbeitslager, sondern auch einen ehemaligen Tagebau mit versunkenen Maschinen, Pumpstationen und Wohnwägen zu bieten.
Zurück in Tallinn werden Flaschen gefüllt, die Stadt erkundet und zu Abend gegessen, bevor wir dann föllig erschöpft in unsere Betten fallen und nochmal das erlebte des Tages Revue passieren lassen.
Der Morgen an Ostern beginnt mit einem großen Dämpfer. Dicke Regenwolken hängen über der Stadt und es gießt wie aus Kübeln. Wir entscheiden uns daher heute etwas später zu starten, in der Hoffnung, dass das Wetter doch noch umschlagen würde. Kurz vor Mittag kommen wir daher erst in Rummu an, leider weiterhin mit Regen. Nach einigem hin und her wollten wir schon fast wieder fahren, als wir wieder einmal das Glück auf unserer Seite hatten und der Regen inne hielt. So hieß es dann rein in den Trocki und ab ins 5°C kalte Wasser. Kurz nach dem Abtauchen finden sich gespannte Leinen, die zu den Spots führen. Aufgrund des über Nacht andauernden Regens wurde die Sicht an diesem Tauchtag deutlich eingeschränkt, weshalb wir sehr froh über die Leinenführung waren. Nach knapp 30 min erreichen wir einen versunkenen Bagger und weitere Ausgrabungsmaschinen, die an die längst vergangenen Tage dieses Tagebaus erinnern. Zurück an der Oberfläche packen wir schnell unser Equipment ein und springen wieder ins Fahrzeug, bevor es wieder zu Regnen beginnt. Man kann festhalten, dass an diesem Tag das Glück mehr als nur auf unserer Seite war. Der Abend in Tallinn ist verregnet, weshalb es für uns nur noch heißt Tauchequipment für den Rückflug morgen trocknen, zum Abendessen und anschließend auf ein kühles Getränk in die Skyline-Bar in unserem Hotel gehen. Am letzten Tag wird ausgeschlafen, gepackt und gefrühstückt, bevor wir am Flughafen unser Auto zurückgeben und auf unseren Rückflug warten.
Fazit: Rummu ist ein Ort voller Kontraste: Schönheit trifft auf Schrecken, Freiheit auf Gefangenschaft, Vergangenheit auf Gegenwart. Wer hier taucht, taucht nicht nur in Wasser, sondern auch in Geschichte ein. Ein Besuch in Rummu ist kein gewöhnlicher Tagesausflug – es ist eine Reise in die Tiefen der menschlichen Erinnerung, die unter der glitzernden Wasseroberfläche weiterlebt. Die beste Tauchzeit ist eigentlich zwischen Juni und September, wenn das Wasser angenehm warm ist. Allerdings sind dann auch viele Badegäste vor Ort, was vorallem im Bereich des alten Gefängnistrakts – aufgrund der geringen Tiefe – zu stark eingeschränkten Sichtweiten führt. Wer früher oder später kommt hat vielleicht das Glück, dass er wie wir den See für sich alleine hat. Estland hat aber nicht nur Rummu zu bieten, sondern noch viele weitere spezielle Spots und Wracks in der Ostsee. Du hast Lust ebenfalls eine Reise nach Estland zu machen, dann melde dich bei uns. Oder willst du beim nächsten Event oder Ausflug dabei zu sein? – Dann schau hier für weitere Reisen und Ausflüge mit uns. – Wir freuen uns auf dich!



























